Fitz Roy – Supercanaleta

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Fitz Roy (3405 m) – Supercanaleta 1600 m, 80° 5+ Carlos Comesana – Jose Luis Fonrouge (AR) am 1/1965 erstbegangen. Begangen von uns am 30.12.2015

Markus, ein Bergsteiger aus Australien, erzählte uns eine „Horrorgeschichte“, die leider auf Tatsachen beruht. Nach seinen Schilderungen zufolge hat er bzw. sicherlich noch bedeutend intensiver die zwei Frauen 2013 eine wirklich wahnsinnige Tortur in der Supercanaleta erlebt.

Eine der beiden Frauen kam im unteren Drittel zu Sturz und flog daraufhin in einen Friend, den sie am laufenden Seil (beide Klettern gleichzeitig) als einzigen Sicherungspunkt zwischen sich hatten. Dieser brach aus, was einen Abgang und unkontrollierten Höllenritt beider von 350 m auf 60° brettelhartem Schnee um 2 Uhr in der Früh zur Folge hatte.

Markus war bei der daraufhin gestarteten 28 h dauernden Bergung von Beginn an dabei, da er zu diesem Zeitpunkt am Wandfuß biwakierte. Die Anzahl der Helfer stieg nach einer Mobilisierung der Bergsteiger in El Chalten von den anfänglichen 6 Personen auf beeindruckende 50 Personen. Da kein Flugwetter vorherrschte, mussten sie die zwei über unwegsamstes Gletscher- und Schottergelände ca. 8 km lang, 300 m im Aufstieg und 1300 m im Abstieg tragen. Mit Multifrakturen von Beinen und Armen, Pneumotorax und Schädelverletzungen stellte dieser Transport eine unglaubliche Herausforderung an Körper und Geist der Helfer und vor allem jedoch an die zwei Verletzten. Am Ende des Tales bzw. der Bergung hatte eine der Beiden aufgrund des hohen Blutverlustes nur mehr einen Blutdruck von 70 (120 ist normal). Dieser Unfall nahm im Grunde ein Happy End, sie überlebten glücklicherweise beide, wenn auch eine der Beiden nach wie vor nicht wirklich gut gehen kann.

Selbst wenn der Helikopter die mindestens 6 Stunden dauernde Anflugzeit nach El Chalten bewältigt, ist aufgrund des meist starken Windes auf eine Rettung aus der Luft nicht wirklich Verlass. Gepaart aus diesen genannten Gründen (kein Handyempfang, keine organisierte Bergrettung, kein Hubschrauber) ist die Ernsthaftigkeit besonders aus Sicht von Alpenbergsteigern bei allen Routen in dieser Region drastisch erhöht.


Mit gebotener Demut und im Bewusstsein für die hier geltenden Spielregeln entschieden wir uns, mit besonders geschärften Sinnen in die Supercanaleta einzusteigen. Vier Freunde aus Österreich teilten unseren Plan und so waren wir eine ansehnliche Gruppe von sechs motivierten Bergsteigern, die Richtung Piedra Negra, eine Campingmöglichkeit am Nordende des Fitz Roys auf 1400 m, wanderten.

 

Dort angekommen versuchten wir krampfhaft bei strahlendem Sonnenschein den Nachmittag schlafend zu verbringen, was uns bei der vorherrschenden Helligkeit, der Uhrzeit bzw. der nicht vorhandenen Müdigkeit mehr schlecht als recht gelang.

Mitten in der Nacht oder besser gesagt um 23:20 schrie Stefan sichtlich überrascht „Land Unter“. Es begann draußen zu Regen und durch das Schmelzwasser stand unser Zelt in einer großen Pfütze. Zeitgleich fing auch schon Stefans Uhr zu piepsen an – unser Wecker und Startglocke für unser Unterfangen. Genau diese Augenblicke sind die motivierenden Zeichen, die man sich bei solch Touren von der Umgebung erhofft ;-). Wie schon bei der Exocet waren wir auch diesmal nicht vollends überzeugt von den Bedingungen. Wir fokussierten uns auf die zahlreichen Sterne, die trotz momentanem Regen rund um uns aus den Wolkenfenstern hervorblinkten und gingen los. Der Nieselregen machte den Aufstieg zum Paso del Cuadrado (1750 m) und weiters nach 300 m Abstieg zum Einstieg (1800 m) zu einem netten „Matschwalk“.

Dort angekommen waren unsere österreichischen Kollegen schon am Beginn des 1200 m langen Eisschlauches. Hier versteckten wir uns kurz hinter einem Stein, um uns geschützt vor Wind und Kälte für die Tour herzurichten. Wir magazinierten uns zwar nicht wie Sylvester Stallone im Film „Rambo“ mit MG und Monitionsgürtel auf, jedoch nicht minder martialisch mit Steigeisen und Eisgeräten.

Dieser vor uns liegende schnurgerade Catwalk des Bergsteigens ist ein Ausdauerhammer und verlangt 1200 m konzentriertes Steigen und Klettern in 65° steilem Schnee und Eis, bevor es zu den eigentlichen Schwierigkeiten der Tour kommt. Einer unserer Kollegen winkte am Bloque Empotrado, dem Beginn der Mixed- und Kletterpassagen, mit Blick auf die nächsten vor uns liegenden Seillängen dankend ab und seilte alleine retour zum Einstieg.

In einer Zweier- und einer Dreierseilschaft und teils in der japanischen Fixseilraupentechnik genossen wir die wirklich spannenden Seillängen.

„It was really Funclimbing“ ein großer Mixed-Spielplatz mit steilen Rissen und Eisgullys in eindrücklicher Umgebung und Aussicht. Frank, der nach einem Absturz im Bloque Empotrado eingefroren ist sowie Jet, ein Bergsteiger, der im oberen Teil beim Abseilen von einem Stein getroffen wurde und seitdem am Abseilstand hängt, zeigten uns augenscheinlich auf makabre und plakative Art und Weise die latent vorhandenen alpinen Gefahren, die trotz unserer aufkommenden Euphorie in diesem Gelände vorherrschen und ständige Umsicht fordern.

 

 

 

Nach weiteren 19 schneeig-/eisigen Seillängen und 300 m Gehgelände standen wir bei nahezu Windstille und wolkenlosem Wetter am Fitz Roy, der mit 3405 m der höchste Punkt dieser Gebirgskette. Der Cerro Torre spitzelte poetisch aus der um ihn liegenden Wolkenschicht und wirkte wie künstlich von Menschenhand kitschig in die Landschaft gemalt. Wir genossen diesen besonders für Patagonien einmaligen Moment der Ruhe, bis wir an den Standardspruch des Bergsteigens innerlich ermahnt wurden – wirklich oben bist du nie und wenn, dann hast du erst die Hälfte!

 

 

Drei von uns seilten die Supercanaleta, Stefan und ich die Franco-Argentina ab, da wir die objektiven Gefahren, bei Sonnenschein die Westseite abzuseilen, als zu hoch betrachteten. Der durch unsere Abseilvariante zusätzlich eingehandelte 3 stündige Bruchharschrückweg ließ uns daran zweifeln, ob die gewonnene Sicherheit den Komfortverlust des Rückwegs aufwiegt.

Als uns Rolis liebevolle Tagwache um 8 Uhr am nächsten Morgen nach geschlagenen 5 h Schlaf aus dem Schlafsack riss, um uns gleich darauf mitzuteilen, das ihnen der letzte Abseilstand ausbrach/ausschmolz und sie dann 250 m mit extremen Glück ohne wirkliche Verletzungen abstürzten, taten unsere vom Bruchharsch geschundenen Schienbeine just in dem Moment dann doch nur noch halb so weh.

Diese 24 h lange Tour hatte ein glückliches, wenn auch nicht ganz endbärungsloses Ende genommen. Stefan und ich gingen bei wunderschönem Sonnenschein zufrieden und Beeren essend talauswärts.

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