Solo Grattour | Windlegergrat-Mitterspitz-Dachstein-Dirndl
veröffentlicht am 27. November 2015 von
Wäre die Regie über den Verlauf dieser Bergtour in meinen Händen gelegen, ich glaube nicht, dass ich den Spannungsbogen größer hätte spannen können. Doch die Regie über den Ablauf im Leben führt ohnedies das Leben selbst, weshalb oder gerade deshalb sind Erlebnisse wie die nun Erzählten besonders intensiv, wenn man sich vom Lauf der Dinge führen, leiten und überraschen lässt.
Ungläubig starrte ich beim Wegfahren um 4 Uhr auf die Windschutzscheibe, als ich zuerst einen, dann zwei, dann drei und dann nicht mehr zählbar viele Regentropfen erkannte. „Umsonst aufgestanden und vorbereitet?“, „Das wird heut maximal bescheiden bei dem Wetter!“ waren die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, wobei mich der Gedanke „Ab zurück ins Bett?“ als einziger dieser Überlegungen durchwegs etwas aufmunterte, auch wenn alle dem der Frust der anderen Gedanken überwog. Als unverbesserlicher Optimist fuhr ich aber weiter und sagte mir „Ab durch die Wetterscheide Pass Lueg“. Tatsächlich erblickte ich im Pongau den einen oder andern Stern am Himmel. Ich analysierte wie manisch die verschiedensten Grautöne der Fahrbahn auf Nässezeichen und war deutlich zuversichtlicher als zu Beginn dieser Autofahrt.
„Als ich 20 Minuten später, kurz vor Filzmoos den Scheibenwischer auf die zweite Stufe stellte, war diese Zuversicht im übertragenen Sinne weggewischt. Fu***!“
„Naja Wandern geht immer!“, „Check ich mir mal den Einstieg aus“ dachte ich mir und hoffte einfach auf halbwegs trockenes Wanderwetter für diesen Tag. Ich wollte die Chance, vielleicht doch noch einsteigen zu können, nicht gänzlich begraben, weshalb ich versuchte, mich auch für die Wanderung zu beeilen, sodass ich noch genug Zeit für die Tour haben würde, sollte sich das Wetter unverhofft bessern.
Ständig von einer Schönredealternative und Entscheidungsverschiebung zur nächsten ging ich also los. Am Sulzenhals angekommen lag der Windlegergrat erstmals halb in Wolken verhüllt im Morgengrauen vor mir und lud eher zum äußeren Begutachten als zum direkten Beklettern ein. Der November ist auch bei Föhn nicht der wärmste Monat und die Tage sind bei Wolkenwetter eher kürzer wie länger, somit war die Situation durchwegs zum Umdrehen verleitend.
Direkt unter der Wand hing die Wolkenbasis circa auf Höhe des halben Windlegergrates und lockerte leicht auf. Ich versuchte, ehrlich subobjektiv zu bleiben, um nicht, wie schon so oft gemacht, eine höhere Einstiegsmotivation an den Tag zu legen, nur weil man halt schon eben hier ist. Durch eine Kombination aus blinder Zuversicht, im Grunde brauchbaren Wetterbericht für den Tag (bei Föhn halt immer so eine Sache) und der Idee bei der Scharte zum Torsteingletscher abseilen zu können, stieg ich ein.
Die ersten Meter sind meist bei meinen Solo-Touren mit einem ständigen Selbstcheck, wie es so läuft und eher mechanischen Bewegungen begleitet. Das Hineinfinden in den Fluss der Bewegung und der neuen Situation benötigt etwas Zeit und Geduld. Bei der ersten wirklichen Kletterstelle war ich von der Exponiertheit überrascht und musste zwei-dreimal ansetzen, bis ich eine für mich genug solide Lösung für die Stelle fand. Sichtlich flüssiger ging es danach weiter und ich empfand die soeben gemeisterte Passage rückblickend als das Eintrittsticket in den nun vor mir liegenden, 1800 m langen Windlegergrat.
Das Topo von Walter Lackmayer, danke an dieser Stelle, und so manche Schlaghaken und Begehungsspuren gaben mir die nötige Sicherheit, den richtigen Weg zu finden. Mit Hilfe von Topo und Intuition fand ich auch bis dahin relativ gut den Weg. Kurz vor dem Felsenfenster galt es, nach rechts zu queren, was für mich anfangs etwas unklar war. Hier drückte der starke Westwind die Feuchtigkeit der Wolken durch das Felsenfenster und so war alles ziemlich nass, kalt und ungemütlich. Ab hier wandelte sich das Gesicht des Wetters. War es doch bis dato noch trocken und relativ windstill, so blies nun ein unangenehmer, wenn auch nicht extrem kalter, feuchter Wind.
„Abseilen oder in den Nebel hinauf?“, „Zurückgehen oder auf den Gipfel?“, „Klettern oder Schneestapfen“, eine Entscheidung musste her. Da es bis hierher so gut ging, sich der Tag bisher schon so oft positiv wandelte und ich keine Lust auf Schneestapfen hatte, hoffte ich auf weitere Wetterbesserung und stieg in das Wolkenmeer empor. Der Fels war kurz nach dem Felsenfenster extrem ungemütlich und ich kletterte mit der Daunenjacke und Handschuhen weiter. Bei einer weiteren nordseitig gelegenen und eingeschneiten Kletterstelle kletterte ich wieder einige Meter zurück in den Windschatten und überlegte, ob ich diese für mich auf den ersten Eindruck extrem unangenehm anmutenden Wandabschnitt bei den momentanen Verhältnissen überhaupt machen sollte. Erste körperliche Signale zeigten sich bei mir. Ab nun galt es doch besser etwas langsamer weiter zu machen und öfters Pausen einzulegen, um etwas zu trinken und zu essen.
Einige Male an diesem Tag war das Motto „Schau ma mal, dann seh ma scho“ und so stieg ich in diesen verschneiten Abschnitt ein, der sich besser auflöste, als er zu Beginn den Anschein hatte. Sehr beflügelt von der geschafften Stelle ging es ab nun zügig zum Torstein empor, wo ich einiges vor Mittag bei spektakulären aufreißendem Sonnenschein aus tiefer Brust einfach nur Juchizen konnte.
„Nach so einem verregneten Start nun bei Sonne am Gipfel mit Blick auf den eingeschneiten weißen Dachstein und einem klaren blauen Herbst-Panorama zu sitzen war wahrlich genial!“
Ich spekuliert schon zuhause, sollte ich vor Mittag am Torstein sein, weiter zum Mitterspitz, Dachstein und übers Dirndl zu gehen. Das Wetter wurde immer besser und die Zeit stimmte ebenfalls, was mich motivierte, die gesamte Gratüberschreitung zu versuchen. Abstieg Torstein und auf zum neuen Gipfel.
Der Mitterspitz-Westgrat war meist Geh- und Stapfgelände mit kurzen II-III Stellen, wodurch ich rasch den Gipfel erreichte. Der Abstieg über den Ostgrat war Abkletterei und zweimaliges Abseilen über einen wunderschönen kompakten Kalkpanzer, der für einen weiteren Besuch einladet.
Wie Sisyphos rollte ich meinen Rucksack oder vielmehr meinen vom Kopf getriebenen Körper von der einen Seite des Berges empor, bis ich an dem nächsten Gipfel angekommen auf der anderen Bergseite wieder zu Tale rollte. Dieses Spiel spielte ich, wenn auch nicht ewig oft wie Sisyphos, insgesamt viermal an diesem Tag.
Von der Oberen Windluckn gings im Affengehangel auf und im Affengehangel runter vom Hohen Dachstein.
„Ich bin immer wieder bestürzt über die stillose und unersättliche Erschließung dieser sonst so schönen Dachstein-Region. Gipfelbahn, Eispalast, Bergstollen, Panoramabalkon, Panoramabrücke, Pistenraupenspur quer über den Gletscher bis zur Simonyhütte, hunderttausend Klettersteige – Disneyland ist nahezu „a Lärcherl“ dagegen.„
Trotz diesem immer wieder aufkommenden Schock über die „Melkkuh“ Dachstein genoss ich den letzten Aufstieg auf das Hohe und Niedere Dirndl. Im Vergleich zu den hinter mir liegenden Gratabschnitten ist dies eine extrem gut mit Bohrhaken sanierte Gratkletterei in wirklich oft super Fels. Etwas blauäugig eingestiegen, ohne den wirklichen Routenverlauf zu kennen, staunte ich nicht schlechte, als ich 20 m lang und gefühlt direkt über der Dachstein Südwand freihängend abseilen musste. In der Scharte angekommen war ich überrascht, wie steil der nächste Abschnitt ausschaute und ich zwängte mich in dem Wissen, dies das letzte Mal für heute tun zu müssen, mit Schmerzen in die Kletterschuhe. Der Abschnitt vom Westgrat des Nierderen Dirndl war ziemlich steil, ja nahezu senkrecht, aber sehr gut griffig und trotz einigen feuchten Stellen gut machbar.
Mit dem inneren Gefühl, die letzte schwere Stelle an diesem Tag gemeistert zu haben, gings den Ostgrat beschwingt hinab zum Gletscher, wo ich den Moment der totalen Absturzsicherheit genoss.
Aus Prinzip und innerlichen Boykotts gegen diesen Dachstein-Wahnsinn und aus Gedanken des „fair means“, auch wenn es aus eigener Knie-Gesundheitlich betrachteter Sicht eher eine „unfair means“-Entscheidung war, stolperte ich das Kar unter der Bahn hinab und machte irgendwie zufrieden und doch nicht ganz ohne Wehmut Fotos von der sanft und energielos vorbeischwebenden Bergbahn.
Nach dem Rückweg bei der Südwandhütte vorbei und unter der Dachstein Südwand entlang schlurfte ich am Ende der Etappe mehr als gezeichnet über die dunkle Almlandschaft zurück zum Auto bei den Hofalmen. Mit Freude schüttete ich mir beim Auto, das zurückgelassene Wasser die trockene Kehle hinunter und schwelgte in Essensfantasien von fettiger Pizza und zuckrigem Getränk.
Die Fülle an Eindrücken und die Länge des Tages erzeugte bei mir ein mattes und dumpfes Gefühl der Erschöpfung. Im Versuch, an das Erlebte von diesem Tag zu denken, konnte ich vor lauter endloser Auswahl an Bildern und Unmengen an Momenten gar keinen richtigen, konkreten Eindruck fassen. Ich fühlte mich wie ein Kunde im Supermarkt, welcher unentschlossen und erschlagen von der schier unendlichen Möglichkeit der Produktauswahl verwirrt vor den Regalen steht und schlussendlich aus Überforderung ohne etwas zu kaufen das Geschäft verlässt.
In mir war ein Gefühl zehn Bilder gleichzeitig, überlagert und dementsprechend verwischt und verschwommen zu sehen. Diese Eindrucksfülle in kürzester Zeit zu erleben gepaart mit dem Umstand, sich während der Tour nicht die Zeit zu nehmen, die Eindrücke bewusst wahrzunehmen, macht aus so einem Tag auf gewisser Weise ein vorbeihuschendes Erlebnis voller Intensität und Bilder, die jedoch in ein diffuses Dröhnen enden.
Dieser Tag war trotz alledem ein extrem intensiver und bereichernder Tag, auch wenn ich wieder erkannte, dass mehr Eindrücke pro Zeit keinesfalls mehr bewusste Eindrücke pro Tag entsprechen. Den Erlebniswert solcher Unternehmungen sehe ich vielmehr in dem totalen Fluss der Bewegung und den intuitiveren Handlungen, die in einem entstehen sowie das starke Empfinden, sich als Teil des großen Ganzen, der Natur, des Gesteins und des Gebirges zu fühlen. Seine eigene Grenze zu entdecken und ein Gespür zu bekommen, sich und das Gelände richtig einschätzen zu können, sind die besonders spannenden Erfahrungen und der große Wert solcher Touren.
Fakten
Torstein Südwestgrat – Windlegergrat
(2000 m, 1000 Hm, IV+, meist II bis III, 3-4 IV Stellen, „manchmal fester Fels“ find ich gut formuliert 😉 – es macht Spaß zu klettern)
Ersbegehung Untere Teil – R. Czegha und L. Obersteiner am 18.09.1920, Obere Teil – K Bldoig, R. v. Lendenfeld, J. Steiner und J. Aufhäusler am 16.09.1879
Topo – Windlegergrat (ziemlich passendes Topo, bis auf den Routenverlauf vor dem Felsenfenster und der Passage rund um den dreizackigen Turm fand ich es ziemlich hilfreich)
Outdoor Blog (gute Bilder, Übersicht vom unteren Teil)
Dachstein Führer Schall (Gebietsführer)
Mitterspitz
– Süd-Ostgrat (200 m VI+, extrem „gut“ mit Bohrhaken gesichert)
Übersichtsfoto und Beschreibung
Blog zur Tour mit Bilder
– Westgrat (300 hm II bis III, gestufter Grat mit Flankenausquerung möglich)
Schöne Tourenidee und Bericht
Hoher Dachstein (Disneyland – Klettersteig und Verunstaltung der Superlative – das Gipfelkreuz könnte aber noch etwas größer sein)
Informationen – Unmengen im Internet
Gesamte Dirndl Überschreitung
(200 hm, extrem „gut“ mit Klebehaken gesichert, III+ oder direkt IV+, Sinn der Abseilpiste bei !Überschreitung! fraglich, Abstieg über Ostgrat wäre/ist III+)
Topo / Berschreibung (die vorgeschlagene Abseilpiste versteh ich bei einer „Überschreitung“ nicht ganz)
Relativitätstheorie
http://www.alpinwiki.at/erstbesteiger/seitelberger-leo (Interessanter Beitrag, der so einiges relativiert, wenn man sich einen in Lodenhosen und mit genagelten Bergschuhen daher stiefelnden Bergsteiger vorstellt – beeindruckend!) „1935 Alleinbeg.Direkte Dachstein-Südwand „Steinerweg“,V-,800 HM,2996m, (1 Stunden) und
Übergang zum Torstein sowie Abstieg über den gesamten Windlegergrat (2 1/2 Stunden),
(Dachsteingebirge)“